Die deutsche Amtssprache beweist bisweilen großes
Stehvermögen. Selbst Journalisten gehen dann in die
Knie – und das ohne Not. In dieser Newsletter erfahren
Sie, wie Sie Amtsdeutsch für Laien übersetzen können.
Dschungelcamp des Monats
Sehr geehrte Damen und Herren, die Regierung von X-Land hat uns
mit Schreiben vom 21.04.95 – Az.300-5200-41/95 bescheinigt, dass
die Schul- und Bildungs-maßnahme Ausbildung zum Redakteur/zur
Redakteurin auf einen Beruf oder nach Wahl des Schülers auf eine vor
einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung
ordnungsgemäß vorbereitet und damit die Bedingungen nach § 4 Nr. 21
Buchstabe b UStG erfüllt (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 der Zuständigkeitsverordnung
zum Umsatzsteuer-Bescheinigungsgesetz vom 17.11.1987 X-Landisches
Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 28/1987, S. 318). …
Das bedeutet, dass die Dozentenleistungen für unsere Kurse umsatzsteuerfrei sind. Bitte legen Sie dieses Schreiben Ihrem Finanzamt vor.
Uff. Gleich der erste Satz lässt kein Detail aus. Zahlen Paragrafen,
genaue Bezeichnung der Gesetze und Verordnungen. Macht 82 Wörter.
Nur wer diesen Dschungel überwunden hat, wird am Ende belohnt.
Jetzt kommt das Wesentliche: „Sie sind von der Umsatzsteuer befreit.“
Exakt und trotzdem klar: So kann es gehen
Natürlich muss diese Bescheinigung sachlich exakt sein. Sie muss den
Grund der Steuerbefreiung nennen und die einschlägigen Paragrafen.
Aber niemand zwingt eine renommierte Journalistenschule, alles in den
ersten Satz zu packen und in einem schier endlosen Nebensatz den
Bewilligungsbescheid wörtlich zu zitieren. – Stattdessen vielleicht so:
Ihr Honorar als Dozent(in) unserer Schule ist umsatzsteuerfrei. Dies
bescheinigt uns die Regierung von X-Land. Sie bewertet die Ausbildung
unserer Schule als ordnungsgemäße Vorbereitung auf einen Beruf oder
auf eine Prüfung vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.
Sie können diese Bestätigung Ihrem Finanzamt vorlegen.
Die Bescheinigung der Regierung von X-Land stammt vom 21.04.95– Az.300-5200-41/95. Es heißt darin weiter: Unsere Ausbildung erfüllt die
Bedingungen nach § 4 Nr. 21 Buchstabe b UStG (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 der Zuständigkeitsverordnung zum Umsatzsteuer-Bescheinigungsgesetz vom
17.11.1987 X-Landisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 28/1987, S. 318).
Wie Sie Amtsdeutsch übersetzen
Gehen Sie in zwei Schritten vor: Zunächst erklären Sie den Sachverhalt
mit Ihren Worten. Nur den Tenor, ohne Details, Zahlen und Paragrafen.
Dies macht Ihre Erklärung einfach, und es hält Ihre Sätze schlank.
Details und rechtlichen Hintergrund nennen Sie in einem separaten
Block. Wer sie braucht, kann sie hier nachlesen. Alle anderen können
diesen Absatz getrost überspringen. Sie werden es Ihnen danken.
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Kannitverstan des Monats
Ihr Kind hat in der Kindertageseinrichtung sein Sprachlerntagebuch
erhalten, mit dem vor allem die Beobachtung seiner sprachlichen
Entwicklung dokumentiert und mit Ihnen regelmäßig über die
Fortschritte Ihres Kindes gesprochen wird. …
Mit dem Erhebungsbogen der ,Quasta’ auf der Grundlage des Sprachlern-
tagebuches wird im Sinne des Gesetzes zu dem vorgegebenen Zeitpunkt
der Sprachstand für Kinder ab einem Alter von vier Jahren festgestellt.
Es ist zu dringend zu empfehlen, die weitere Förderung zu sichern.
Diese Sätze gingen auch an Eltern, die selbst wenig Deutsch verstehen.
Harald Martenstein geißelte ihn als „Mischung aus Bürokratenchinesisch,
Gagadeutsch und Fantasy im Harry-Potter-Stil (ein sprechendes Buch!)“.
Bürokratendeutsch – oft aus der Not geboren
Briefe wie dieser haben eine Geschichte: Am Anfang steht ein Gesetz,
eine Verordnung, eine Regelung. Dazu ein Konzept, wie das Ganze
umzusetzen ist. Von Expert(inn)en verfasst, in deren Fachsprache.
Am Ende der Kette sitzt ein Mensch, der daraus ein Infoblatt für uns
Bürger machen muss. Dieser Text soll das Gesetz oder die Verordnung
exakt wiedergeben, und er soll für Laien verständlich sein. Dies gleicht
einer Quadratur des Kreises. Oft sieht das Ergebnis dann aus wie oben.
Schreiben, heißt: eine Entscheidung treffen
Setzen Sie Prioritäten. Was ist in einem Infobrief an Kita-Eltern
wichtiger: dass der Brief das Prozedere fachlich korrekt wiedergibt?
Oder dass die Eltern verstehen, um was es geht? Damit befreien Sie
sich von dem Zwang, zwei Herrinnen oder Herren dienen zu müssen.
In unserem Fall ist die Sache klar: Die Exaktheit nützt der Senatorin
wenig, wenn viele Eltern nicht verstehen, um was es hier geht und
was sie tun sollten. - Ein verständlicherer Brief könnte so aussehen:
Ihr Kind kommt nächstes Jahr in die Schule. Bis dahin sollte es so gut
sprechen und verstehen, dass es im Unterricht mitkommt. Hier in der
Kita schauen wir genau hin, was Ihr Kind schon kann. Und wir führen
darüber Buch. Jetzt haben wir das Ganze ausgewertet: Ihr Kind kann
schon einiges, aber für die Schule sollte es noch besser sprechen und
besser verstehen. Wir empfehlen Ihnen dringend: Beantragen Sie für
Ihr Kind eine Förderung. Sprechen Sie mit uns, wir unterstützen Sie.
Fachwelten für Laien erklären – so kann es gehen
Erzählen Sie eine Geschichte, die in der Welt Ihrer Leser spielt. Mit
Sachverhalten, die diese kennen. Und mit Wörtern, die ihnen vertraut
sind: Schule. Sprechen und verstehen. Buch führen. Ihr Kind sollte.
Das gilt auch, wenn Sie die Empfänger in Bewegung setzen wollen. Hüten
Sie sich vor Schwurbelsätzen wie Es ist zu dringend zu empfehlen ….
Sprechen Sie die Leser direkt an: Beantragen Sie. Sprechen Sie mit uns.
Hintergrund liefern – an der richtigen Stelle
Nätürlich gibt es Eltern, die mehr wissen wollen als ich oben skizziert
habe. Und natürlich will die Senatorin den Eltern auch darlegen, was
sich ihre Leute Sinnvolles überlegt haben in Sachen Sprachförderung.
Hier hilft Ihnen das Prinzip des zweistufigen Aufbaus. Im ersten Anlauf
bringen Sie Ihr Thema kurz und klar, für Laien und für Eilige. Im zweiten
Anlauf bieten Sie denen Futter, die mehr wissen wollen. Teil eins ist die
Pflicht, Teil zwei die Kür. – In unserem Fall könnte die Kür so aussehen:
Sprechen und Verstehen sind wichtig für die Zukunft Ihres Kindes.
Deshalb packen wir dieses Thema in den Kitas systematisch an. In
einem Sprachlerntagebuch halten wir fest, wie sich Ihr Kind entwickelt.
Wir sprechen regelmäßig mit Ihnen, welche Fortschritte Ihr Kind macht.
Ein Jahr vor der Einschulung ziehen wir Bilanz. So steht es im Gesetz
über die „Qualifizierte Statuserhebung vierjähriger Kinder in Kitas und
Kindertagespflege“, kurz „Quasta“. Mit einem Erhebungsbogen werten
wir aus, was im Sprachlerntagebuch festgehalten ist. Aus dem Ergebnis
können wir ablesen, ob Ihr Kind sprachlich gerüstet ist für die Schule
oder ob es Förderung braucht. Diese Förderung bieten wir dann an.
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Gruseltext des Monats
"Sehr geehrter Herr Meyer, die DAK stellt Ihnen folgendes Pflegehilfsmittel zur Verfügung: Hausnotrufsystem. Falls Sie das oben genannte Pflegehilfsmittel
noch nicht erhalten haben, wird der Leistungserbringer in den nächsten Tagen
mit Ihnen einen Termin zur Aushändigung bzw. Lieferung vereinbaren. Das
Pflegehilfsmittel mietet die DAK von dem Leistungserbringer. Damit unnötige
Kosten vermieden werden, möchten wir Sie bitten, uns zu informieren, falls
Sie das Pflegehilfsmittel vor dem Ablauf der oben genannten Mietdauer nicht
mehr benötigen. Beauftragter Lieferant: ASB OV Rems-Murr."
Diesen Brief erhielt ein 86-Jähriger von seiner Krankenkasse. Der Verfasser beherrscht die hohe Kunst der Bürokratensprache perfekt. Sein Werk ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine einfache Sache kompliziert ausdrückt. Bringen wir das Ganze also zurück ins Leben:
Sehr geehrter Herr Meyer, wir haben eine gute Nachricht für Sie. Ihr Antrag auf einen Hausnotruf ist bewilligt. Der Arbeitersamariterbund wird sich bei Ihnen melden und einen Termin vereinbaren, wann er Ihnen das Gerät bringt, anschließt und es Ihnen erklärt. Falls dies schon geschehen ist - umso besser.
Zum Geld: Wir übernehmen die Grundkosten für den Notruf, das sind die Miete für das Gerät und die Kosten, falls Sie den Notruf zwischen 8.00 und 20.00 Uhr benutzen. Dann schaut ein Mitarbeiter des Arbeitersamariterbunds nach Ihnen.
Bei einem Notruf in der Nacht informiert der Arbeitersamariterbund eine Vertrauensperson, die Sie bestimmt haben. Auch dies bezahlen wir. Sie selbst können mit dem Arbeitersamariterbund einen Zusatzvertrag abschließen. Dann schickt dieser auch nachts einen Mitarbeiter zu Ihnen. Falls Sie dies wünschen: Fragen Sie beim Arbeitersamariterbund nach, was Sie das kosten würde.
Sie können den Notruf so lange behalten, wie dies für Sie notwendig ist. Falls Sie ihn irgendwann nicht mehr brauchen sollten: Bitte geben Sie uns Bescheid. Damit helfen Sie uns beim sinnvollen Sparen. Wir wünschen Ihnen alles Gute - und dass der Notruf dazu beiträgt, dass Sie sich in Ihrem Alltag sicher fühlen.
Klar und verständlich formulieren - so funktioniert es:
Ich gebe zu: Heute ist meine Version doppelt so lang wie der Ursprungstext. Der Empfänger hätte das Schreiben dann aber wohl auf Anhieb verstanden. Das Hauptproblem bei diesem Brief sind nicht die Sätze, sondern die Wörter. Pflegehilfsmittel und Leistungserbringer, Aushändigung. ASB und OV. Also bürokratische Begriffe, eine blutleere Substantivierung, unbekannte Kürzel.
Diese Begriffe übersetze ich in Wörter aus dem Alltag. "Aushändigung" heißt schlicht: Jemand bringt das Gerät vorbei. Die eher unbekannte Abkürzung ASB schreibe ich aus, den Ortsverein Rems-Murr streiche ich ersatzlos.
Und ich schreibe auf, was den Adressaten vermutlich noch interessiert: Wie funktioniert das mit dem Notruf? Wer erklärt mir das? Wer bezahlt das alles? Auch hier benutze ich Wörter und Sätze aus dem Alltag. Ich arbeite mit Beispielen: Was passiert wann? Und ich trenne die Themenblöcke: Bewilligung und Lieferung, Kosten für die Grundversorgung, Kosten für den Notruf de luxe.
Beim Texten orientiere ich mich an diesen drei Schreibregeln:
- konkret ist besser als abstrakt
- ein Beispiel ist Gold wert
- Wörter aus dem Leben bringen Leben in den Text
Tipp des Monats: an die Gefühle des Lesers denken
Auch uns Jüngeren geht es so: Briefe von Amt oder Versicherung lösen Unbehagen aus. Was wollen die von mir? Wird es teurer? Was muss ich tun? - Und nicht zuletzt: Ist das wieder einer dieser Briefe, die ich nicht verstehe? Der Empfänger ist also angespannt und innerlich auf Abwehr eingestellt.
Gehen Sie deshalb zunächst auf die Beziehungsebene. Danken Sie, loben Sie, erinnern Sie an eine gute gemeinsame Erfahrung. Oder wie in diesem Fall: "Wir haben eine gute Nachricht". Dies nimmt Spannung weg. Bei einem negativen Anlass ist der Einstieg auf der Beziehungsebene sogar besonders wichtig.
Erst dann kommen Sie zur Sache. Überlegen Sie vorab: Was weiß der Leser zu diesem Thema? Was kann ich voraussetzen, was muss ich erklären. Und: Sagen Sie dem Leser, ob er etwas tun muss oder nicht. "Sie brauchen nichts weiter zu unternehmen" - auch dieser Satz bringt Klarheit und Entlastung.
Gehen Sie zum Schluss nochmals auf die Beziehungsebene. Nicht mit einer Grußfloskel, sondern mit einer konkreten Ansprache. Jetzt ist der Brief rund.
cleartext zum Mitmachen
"Da Deutschland, das im vorliegenden Verfahren zu seiner Verteidigung den
generischen Charakter des Begriffs „Parmesan“ einwendet, noch nicht einmal
in Bezug auf Deutschland selbst Beweis angetreten hat, um seine Behauptung,
der Begriff „Parmesan“ sei in Deutschland zu einer Gattungsbezeichnung
geworden, in nennenswerter Weise zu substantiieren, ist die Verwendung des
Wortes „Parmesan“ für Käse, der nicht der Spezifikation der g. U. „Parmigiano
Reggiano“ entspricht, im vorliegenden Verfahren als Verletzung des durch Art.
13 Abs. 1 Buchst. b der Grundverordnung für diese g. U. gewährten Schutzes
zu betrachten."
Dieser Satz stammt aus der Feder des Generalanwalts beim Europäischen Geichtshof (EuGH) - aus einem Gerichtsstreit um die Frage, ob auch deutsche Käsehersteller den Begriff "Parmesan" auf ihre Verpackungen drucken dürfen. Das Kürzel "g. U." steht für "geschützte Ursprungsbezeichnung".
Wenn Sie mögen: Greifen Sie dem Generalanwalt unter die Arme und
schreiben Sie diesen 86-Wörter-Satz neu.
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