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Bandwurmsätze zerlegen

 

Heute nimmt Sie der cleartext-Newsletter mit in die Welt der
Nachrufe. Ein langes und verdienstvolles Leben soll gewürdigt
werden. Aber - pardon - die Sätze dürfen trotzdem kurz sein.


Gruseltext des Monats

"Die über Jahrzehnte andauernde Wirkung Druckers und seine Fähigkeit, bis ins hohe Alter (er kannte keinen Ruhestand) dem Puls der Zeit stets voraus zu sein, führen viele Freunde und Schüler vor allem auf Druckers intellektuellen Tiefgang zurück, der weit über die Felder Wirtschaft und Management hinausreichte."

Dies schrieb eine Zeitschrift zum Tod des Management-Vordenkers Peter F. Drucker. Er wurde fast 96 und war in der Tat ein ungewöhnlicher Mann. Schade, dass dies in einem Schachtelsatz versteckt ist. Also vielleicht so:

"Druckers Gedanken und Theorien wirkten über Jahrzehnte. Er kannte keinen Ruhestand und war bis ins hohe Alter dem Puls der Zeit immer voraus. Den Grund für dieses Phänomen sehen Freunde und Schüler vor allem in Druckers intellektuellem Tiefgang. Er reichte weit über Wirtschaft und Management hinaus."

Komplexes sortieren - so funktioniert es:

Der Originalsatz ist mit 46 Wörtern extrem lang. Und er hat zwei Themen: eine Beschreibung von Druckers Wirken - und eine Analyse aus der Sicht derer, die ihn kannten. Wenn ich beides in einen Satz packe, erschlägt ein Aspekt den anderen.
Auch von der Grammatik her haben wir ein Problem: Das Akkusativobjekt ist sehr verschachtelt. "Was führen sie auf Druckers intellektuellen Tiefgang zurück?" - Die Antwort auf diese Frage umfasst zwei Zeilen samt Nebensatz und Klammer.

Die Lösung heißt auch hier: portionieren. In einem ersten Schritt benennen wir die ungewöhnliche Tatsache, dass Drucker über Jahrzehnte Vordenker war. Das sind die ersten beiden Sätze. Dann kommt die Analyse. Im Übergang bündeln wir das bisher Geschriebene nochmals in dem Begriff "dieses Phänomen". Der vierte Satz könnte auch als Relativsatz am dritten hängen. Solo wirkt er aber stärker.

So werden aus einem Schachtelsatz vier ungegliederte Haptsätze. In der Summe haben sie 46 Wörter - also exakt so viele wie der Ausgangssatz.

 


Tipp des Monats

Wir sind oft versucht, zu viel in unsere Sätze zu packen. Vor allem dann, wenn wir einen inhaltlichen Zusammenhang herstellen wollen: wenn-dann, zwar-aber, weil-deshalb, gestern-heute. Das macht diese Sätze lang und verschachtelt.

Lösen Sie sich von der Vorstellung, dass der Zusammenhang innerhalb eines einzigen Satzes deutlich werden muss. Formulieren Sie zunächst einen Aspekt. Dann machen Sie einen Punkt. Und jetzt formulieren Sie den zweiten Aspekt.
Scharnier-Wörter schaffen eine Brücke zum vorangehenden Satz und machen den inhaltlichen Zusammenhang deutlich: "Als Folge davon", "Deshalb", "In diesem Fall" - oder, bei Peter F. Drucker: "Den Grund für dieses Phänomen".


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Gruseltext des Monats

"In welcher Weise und mit welchem Nachdruck setzt sich die Bundes-
regierung gegenüber Russland dafür ein, dass eine Reihe von Gefangenen, deren Verhaftung offensichtlich politisch motiviert war und bei deren Prozessen es zu schwerwiegenden Verstößen gegen die
russische Strafprozessordnung kam, wie der ehemalige Vorstands- vorsitzende des Ölkonzerns Jukos, Michail Chodorkowski, der vor genau fünf Jahren wegen Steuerhinterziehung und Betrug zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, jetzt mit einer neuen Klage konfrontiert ist, die im abgelegenen ostsibirischen Tschita verhandelt werden soll, und dessen Gesuch auf vorzeitige Haftentlassung abgelehnt wurde, ebenso wie die ehemalige Jukos-Mitarbeiterin Swetlana Bachmina, die zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt und deren Gesuch auf Haftentlassung ebenfalls abgelehnt wurde, obwohl sie von der Gefängnisadministration positiv beurteilt wurde, zwei minderjährige Kinder hat und hochschwanger ist, wie Platon Lebedew, ehemaliger Bankdirektor von Menatep, der seit Juli 2003 inhaftiert und schwer krank ist, ebenso wie der an HIV erkrankte ehemalige Jukos-Mitarbeiter Wassily Alexanian und die beiden Physiker Igor Sutjagin und Walentin Danilow, die im April bzw. November 2004 wegen angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen, zu denen sie keinen Zugang haben konnten, zu 15 bzw. 14 Jahren verschärftem Straflager verurteilt wurden, sobald wie möglich freigelassen werden?"

Dieser Gruselsatz markiert einen neuen cleartext-Rekord: 191 Wörter. Er stammt aus einer Bundestags-Anfrage der Grünen.  Bei aller Liebe für freies Wachstum: her mit der Heckenschere!

Wir fragen die Bundesregierung nach ihrem Eintreten für eine Reihe von Gefangenen in Russland. Wir sprechen von all jenen, deren Verhaftung offensichtlich politisch motiviert war und bei denen es im Prozess zu schwerwiegenden Verstößen gegen die Strafprozessordnung kam. Sechs Betroffene seien hier genannt: Michail Chodorkowski, Swetlana Bachmina, Platon Lebedew, Wassily Alexanian, Igor Sutjagin und Walentin Danilow.

Der ehemalige Chef des Ölkonzerns Jukos, Michail Chodorkowski, wurde vor fünf Jahren wegen Steuerhinterziehung und Betrug zu acht Jahren Haft verurteilt. Jetzt ist er mit einer neuen Klage konfrontiert, die in der abgelegenen Stadt Tschita in Ostsibirien verhandelt werden soll.
Chodorkowskis Gesuch auf vorzeitige Haftentlassung wurde abgelehnt.  

Die ehemalige Jukos-Mitarbeiterin Swetlana Bachmina wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch ihr Gesuch auf aftentlassung
wurde abgelehnt, obwohl die Gefängnisleitung sie positiv beurteilt hatte und sie selbst zwei minderjährige Kinder hat und hochschwanger ist.

Der ehemalige Menatep-Bankdirektor Platon Lebedew sitzt seit 2003 in Haft, er ist schwer krank. Der ehemalige Jukos-Mitarbeiter Wassily
Alexanian ist an HIV erkrankt. Der Physiker Igor Sutjagin wurde 2004 zu 15 Jahren verschärftem Straflager verurteilt, sein Kollege Walentin Danilow zu 14 Jahren. Die Justiz warf ihnen Verrat von Staatsgeheimnissen vor - obwohl sie zu den fraglichen Informationen keinen Zugang haben konnten.

Zwei Fragen haben wir dazu: Wie setzt sich die Bundesregierung bei der russischen Regierung dafür ein, dass diese Menschen sobald wie möglich freigelassen werden? Und: Wie nachdrücklich engagiert sie sich dabei?

Klar und verständlich formulieren - so funktioniert es:

Eigentlich ist das Anliegen der Grünen klar: Was tut die Bundesregierung dafür, dass Moskau mutmaßliche politische Gefangene freilässt? -  Zum Gruselsatz wird das Ganze, weil die Grünen in diesen einen Satz sechs Betroffene einbauen und in zahlreichen weiteren Nebensätzen deren Schicksal schildern. Das Ergebnis ist ein Schachtelsatz mit vier Ebenen.

Beim Texten habe ich mich an diesen Schreibregeln orientiert:

  • Zwei (oder mehr) kurze Sätze sind besser als ein langer
  • Portionieren Sie die Informationen: Aspekt eins. Punkt. Aspekt zwei
  • Schließen Sie den Hauptsatz ab, ehe der Nebensatz beginnt

Tipp des Monats: an den Leser denken

Machen Sie Absätze! Lieber mehr als weniger. Und lieber kurze als lange. Sechs Zeilen pro Absatz sind genug. Untersuchungen haben gezeigt: Kurze Absätze laden zum Lesen ein, lange Absätze stoßen viele Leser ab.

Orientieren Sie sich an dieser Faustformel: Jeder Aspekt bekommt einen eigenen Satz, jedes Teilthema bekommt einen eigenen Absatz. Unser Gruseltext geht über 21 Zeilen. Ein Satz - und deshalb auch nur ein Absatz. Ich mache fünf daraus und gebe dem Ganzen eine klare Struktur:

  • Absatz eins: ins Thema einführen und sechs Betroffene nennen
  • Absatz zwei: Details zu Person eins
  • Absatz drei: Details zu Person zwei
  • Absatz vier: Details zu den vier anderen Personen
  • Absatz fünf: Thema wieder aufgreifen. Dann die Fragen. Und Ende.

 


cleartext zum Mitmachen

"Muss Dick Cheney jetzt ins Gefängnis, jetzt, da Barack Obama ins Weiße Haus einzieht? Nirgendwo würden die Bürgerrechtler vom Center for Constitutional Rights (und gewiss nicht nur die) den bisherigen
Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten und andere Top-Angehörige der Bush-Regierung wie den einstigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld lieber sehen als vor Gericht. Dass die Bushisten verurteilt werden müssten, ist für linke Bürgerrechtler eine ausgemachte Sache.
(...)

Unter Barack Obama, so die Hoffnung, könnten die Initiatoren der staatlich genehmigten Folter und der Entführungen von Terrorverdächtigen, die Verantwortlichen für ungenehmigte Abhörmaßnahmen und die Anstifter politisch motivierter Säuberungen im Beamtenapparat des Bundes endlich zur Rechenschaft gezogen werden."

Ein brisantes Thema griff eine große deutsche Tageszeitung da auf ihrer Titelseite auf. Die Liste der Kritisierten ist lang, die der Vorwürfe ist noch länger, die Sätze ziehen sich. Wenn Sie mögen: Kürzen Sie die Sätze. Die Aussage wird dann klarer. - Meine Version stelle ich Ihnen im Februar vor.


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Gruseltext des Monats

"Kurt Weill gewann mit der ebenso spektakulären wie erfolgreichen Uraufführung seines Einakters Der Protagonist auf ein Libretto von Georg Kaiser am 27. März 1926 an der Staatsoper Dresden unter der musikalischen Leitung von Fritz Busch und der Regie von Josef Gielen den Ruf als der vielversprechendste Opernkomponist seiner Generation."

Puh! Dieses Fortissimo schmerzt in den Ohren! Wer alle Töne in einen Satz packt, riskiert ein Klangdesaster. Gehen wir die Sache also lieber behutsam an und lassen die Instrumente einzeln zu Wort kommen:

"Der Durchbruch gelang Kurt Weill 1926 - mit der spektakulären Uraufführung seines Einakters Der Protagonist an der Staatsoper Dresden. Geschrieben hatte er das Stück auf ein Libretto von Georg Kaiser. Die musikalische Leitung hatte Fritz Busch, Regie führte Josef Gielen. Nach diesem Erfolg galt Weill als der vielversprechenendste Opernkomponist seiner Generation."

Publikum-freundlich texten - so funktioniert es:

Mit 48 Wörtern ist der Ursprungssatz entschieden zu lang. Mehr als 15 bis 20 sollten es nicht sein, damit ein Satz auf Anhieb verständlich ist. Auch vier Namen in einem Satz sind mindestens zwei zu viel. Da es hier um Kurt Weill geht, muss sein Name in den ersten Satz. Die anderen folgen nach und nach.

Das Zauberwort heißt: portionieren. Eine zentrale Aussage kommt in den ersten Satz. Dann folgen Details und Hintergründe. Am Ende steht das Fazit. Damit der Text insgesamt nicht länger wurde, habe ich ein Detail weggelassen: Das genaue Datum der Uraufführung. - Und: Haben Sie es vermisst?

Zum Satzbau: Der Ursprungssatz fängt gut an. "Kurt Weill gewann" - Subjekt und Prädikat als zentrale Satzbausteine stehen ganz am Anfang. Nur: Was genau Weill gewann, erfahren wir erst drei Zeilen später. Dies überfordert das Kurzzeitgedächtnis. Es umfasst nur drei Sekunden und damit nicht mehr als sechs Wörter. Das heißt: Zwischen "Kurt Weill gewann" und "den Ruf" dürfen maximal sechs Wörter stehen. Im Ursprungssatz sind es aber 38 Wörter.



Tipp des Monats

Wenn Sie einen Text entworfen haben: Sprechen Sie ihn vor sich hin oder lesen Sie ihn jemand anderem vor. Wenn Sie während eines Satzes Luft holen müssen, dann ist dieser Satz zu lang. Wenn Ihr Zuhörer ihn nicht auf Anhieb versteht, dann heißt das meist: Der Satz ist inhaltlich überfrachtet.


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