Ein amerikanischer Schriftsteller stöhnte einmal über unsere Bandwurmsätze. Sein Urteil nach einer Deutschlandreise: Das treibt einen zur Verzweiflung. In diesem Newsletter erfahren Sie, wie Sie Ihren Leserinnen und Lesern dies ersparen können.
Quälgeist des Monats
Warum „Crowdinvesting“, bei dem sich Anleger schon
mit geringen Beträgen an unternehmerischen Projekten
beteiligen, in Deutschland derzeit weniger beliebt ist als
etwa in Großbritannien, hat Martina Musterfrau, Expertin
für Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Industrie-
und Handelskammertag (DIHK), erläutert.
Sätze wie diese meinte Mark Twain, als er schrieb: „Ein
durchschnittlicher Satz in einer deutschen Zeitung nimmt ein
Viertel einer Spalte ein, danach kommt das Verb, und man
erfährt zum ersten Mal, wovon die ganze Zeit die Rede war.“
In der Tat: Das entscheidende Wort erläutert steht auf letzter
Position. Bis dahin muss ich ein englisches Kunstwort verstehen,
eine Schachtelkonstruktion überstehen und drei Informations-
ebenen auseinander halten. Macht 36 Wörter bis zum Verb.
Trennen Sie die Informationsebenen
Der erste Schritt heraus aus diesem Dschungel ist die Analyse:
Ich schaue mir an, was der Verfasser alles in diesen einen Satz
gepackt hat. In unserem Fall sind es drei Informationen:
1. was Crowd-Investing ist
2. dass das in Deutschland vergleichsweise wenig beliebt ist
3. dass eine Expertin erläutert, woran dies liegt.
Auf dieser Grundlage kann ich das Gesamtpaket neu schnüren.
Alles soll rein, aber es muss deshalb nicht alles in e i n e n Satz.
Portionieren Sie
Ein Grundprinzip für lesefreundliche Texte lautet: ein Gedanke,
ein Satz. Bei drei Einzelinformationen macht dies drei Sätze.
Beim 'Crowd-Investing' können sich Anleger schon mit geringen
Beträgen an unternehmerischen Projekten beteiligen. In
Deutschland ist diese Anlageform bisher weniger beliebt als etwa
in Großbritannien. Die Gründe erläuterte jetzt Martina Musterfrau,
Expertin für Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Industrie-
und Handelskammertag (DIHK).
Der Vorteil dieser Version: Das manchen vielleicht unbekannte Wort
‚Crowd-Investing‘ wird sofort erklärt. Der Nachteil: Der erste Satz
hat wenig Dynamik, weil er nur die Definition transportiert. Deshalb
würde ich das nur machen, wenn ich annähme, dass die Mehrzahl
meiner Leserinnen und Leser nicht weiß, was Crowd-Investing ist.
Die Alternative sieht so aus: In Deutschland ist es derzeit noch
weniger beliebt als etwa in Großbritannien: ‚Crowd-Investing‘, eine
Finanzierungsform, bei dem sich Anleger schon mit geringen Beträgen
an unternehmerischen Projekten beteiligen können. Die Gründe für
die Zurückhaltung deutscher Anleger in diesem Bereich erläuterte
jetzt Martina Musterfrau, Experte für Unternehmensfinanzierung
beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Der Vorteil dieser zweiten Version: Der erste Satz die aktuelle Lage.
Das macht ihn dynamischer als den Lexikon-Satz der ersten Version.
Arbeiten Sie mit Bindestrichen
Lesefreundlicher werden Ihre Sätze auch, wenn Sie wenig geläufige
Wortkombinationen „durchkoppeln“, also die einzelnen Teile durch
Bindestriche trennen. Der Duden erlaubt dies inzwischen ausdrücklich.
zurück zur Übersicht
Mehr zu diesem Thema
Satzpatient des Monats
In der IHK wird demnächst ein Starter Center
(“Business WelcomeCenter“) für Unternehmen, die sich in Berlin niederlassen wollen,
angesiedelt.
–
Diesen Satz schickte mir ein Seminarteilnehmer, und er benannte gleich die
Baustelle: Das wichtige Verb „angesiedelt“ wird ganz ans Ende verschoben.
Seine Frage: Muss der Relativsatz unbedingt direkt nach dem Bezugswort
„Unternehmen“ stehen? Oder darf er auch nach dem Verb kommen?
Also In der IHK wird demnächst ein Starter Center
(“Business WelcomeCenter“) für Unternehmen angesiedelt, die sich in Berlin
niederlassen wollen.
Die Duden-Hotline sagt: Ja, das ist erlaubt. Es gibt keine Regel, dass das
Relativpronomen direkt hinter dem Bezugswort stehen muss. Beide dürfen
etwas auseinander rücken, solange der Satz nicht missverständlich wird.
Medikament Nummer eins: Ziehen Sie das Verb vor
Subjekt und Prädikat sind das Rückgrat Ihrer Sätze: Wer oder was spielt
hier eine Rolle? Und: Was macht derjenige? Was geschieht hier? – Rücken
Sie Subjekt und Prädikat möglichst nahe zusammen und stellen Sie sie im
Satz möglichst weit nach vorn. Dann versteht der Leser den Satz schnell.
In unserem Fall heißt das: Statt In der IHK wird demnächst ein Starter
Center(“Business WelcomeCenter“) für Unternehmen angesiedelt, die sich
in Berlin niederlassen wollen ginge sogar In der IHK wird demnächst ein
Starter Center (“Business WelcomeCenter“) angesiedelt für Unternehmen …
Medikament Nummer zwei: Schreiben Sie im Aktiv
Eine Baustelle ist noch übrig: Das Verb besteht aus zwei Teilen wird …
angesiedelt. Für dieses Passiv gibt es hier keinen Grund. Weg damit: Die
IHK eröffnet demnächst ein Starter Center (“Business WelcomeCenter“)
für Unternehmen, die sich in Berlin ansiedeln wollen. Jetzt stehen Subjekt
und Prädikat am Satzanfang. Lesefreundlicher kann ein Satz nicht sein.
Die Bedingung für diese Lösung: Die IHK ist hier tatsächlich der Akteur.
Falls es der Senat sein sollte, dann so: Der Berliner Senat eröffnet in
Kürze ein Starter Center für Unternehmen, die sich in der Stadt niederlassen
wollen. Angesiedelt wird dieses “Business WelcomeCenter“ in der IHK.
Medikament Nummer drei: Portionieren Sie
Mit diesem Aktivsatz lösen Sie auch eine weitere Baustelle auf: die
sperrige Doppelung Starter Center (“Business WelcomeCenter“). Natürlich
brauchen Sie beide Bezeichnungen - aber nicht zwingend in einem Satz.
Auch bei der IHK als Akteur können Sie die Doppelung vermeiden: Die
IHK eröffnet demnächst ein Starter Center für Unternehmen, die sich in
Berlin ansiedeln wollen. Dieses “Business WelcomeCenter“ hilft ihnen, …
Das Prinzip heißt: Portionieren Sie Ihre Informationen, teilen Sie sie auf
mehrere Sätze auf. Damit bieten Sie ein Stück Service für Ihre Leser.
Ein Löffel extra: Die cleartext-Wunschbox
Sie sitzen an einem Satz oder einem kurzen Text, und die Medikamente
schlagen nicht an? - Schicken Sie mir Ihren Patienten. Schreiben Sie an
newsletter@cleartext.de, Stichwort “Wunschbox“. Sie erhalten von
mir einen Lösungsvorschlag – in der Regel binnen zwei, drei Tagen. Gratis.
zurück zur Übersicht
Mehr zu diesem Thema
Wörter-Arie des Monats
Im Unterschied zu meiner Frau, die schon in ganz jungen Jahren für Wagner geschwärmt hat, als ich als Pennäler schon gerne Konzerte besuchte, die Oper aber noch für eine hypertrophe, exaltierte, gelegentlich hysterische Kunstform gehalten habe, die mir in den satirischen Kurzfassungen Loriots eher einleuchten wollte als in den länglichen Originalfassungen, war mein Verhältnis zu Wagner eher unterkühlt.
Also schrieb Bundestagspräsident Norbert Lammert im Manuskript
seiner Rede zum Wagner-Festakt jüngst in Bayreuth.
Die Grundaussage ist klar: Im Unterschied zu meiner Frau war mein
Verhältnis zu Wagner eher unterkühlt. Aber von Frau bis war ist es
weit. Zunächst kommt der Relativsatz die schon, dann der Nebensatz
als ich, der seinerseits den Relativsatz die mir hinter sich herschleppt.
Leser müssen den Überblick behalten
Auf 46 Wörter summiert sich der Weg von Frau bis war. Das ist mehr, als wir uns beim Lesen merken können. Auch der Gesamtsatz mit 58 Wörtern überfordert unser Kurzzeitgedächtnis. - Also vielleicht so:
Meine Frau hat schon in ganz jungen Jahren für Wagner geschwärmt.
Bei mir war das anders. Als Pennäler ging ich gerne in Konzerte, die
Oper dagegen hielt ich für eine hypertrophe Kunstform. Sie schien mir
exaltiert und gelegentlich hysterisch. In den satirischen Kurzfassungen
Loriots wollte sie mir eher einleuchten als in den länglichen Originalfassungen. Mein Verhältnis zu Wagner war also eher unterkühlt.
Aus dem Arien-Satz mit 58 Wörtern wurden sechs kürzere Sätze. In
der Summe komme ich auf 63 Wörter, also fünf mehr als Lammert.
Die Leser an die Hand nehmen - so kann es gehen
Geben Sie ihnen zunächst einen Überblick – ohne Details. In unserem
Fall skizzieren Sie unterschiedliche Einstellung der beiden zu Wagner.
Erst dann kommen die Details: wie Wagner auf ihn wirkte. Dass er
Loriot besser fand. Mit dem letzten Satz ziehen Sie dann ein Fazit.
Im Ergebnis haben Sie sechs Sätze. Der kürzeste mit fünf Wörtern,
die beiden längsten mit 16. Damit liegen sie klar unter der Grenze
von 20 Wörtern, jenseits der es für den Leser immer schwerer wird.
Auch die Wege im Satz zum jeweiligen Prädikat sind jetzt kürzer.
An diesen Schreibregeln habe ich mich orientiert:
1. Portionieren: Zwei kurze Sätze sind besser als ein langer.
2. Wege verkürzen: Subjekt und Prädikat möglichst nahe zusammen.
3. klare Satzstruktur: erst der Hauptsatz, dann der Nebensatz.
Eine Rede ist keine Schreibe
Bei einem gedruckten Text kann ein Leser einen Satz notfalls ein
zweites Mal lesen. Ein Zuhörer hat diese Chance nicht. Fassen Sie
Ihre Gedanken bei einem Redetext also bewusst in kürzere Sätze.
Nach der Faustformel: Jeder Gedanke bekommt einen eigenen Satz.
Machen Sie anschließend die Probe: Sprechen Sie jeden Satz laut.
Schaffen Sie es bis zum Punkt, ohne Luft zu holen? Wenn nicht, ist
der Satz mit Sicherheit zu lang. Mit etwas Erfahrung hören Sie sich
schon beim Schreiben und merken: Jetzt wird es Zeit für einen Punkt.
zurück zur Übersicht