Heute macht der cleartext-Newsletter einen Abstecher in die
Politik. Nicht, um Ihnen die künftige Autosteuer zu erklären -
wir schauen einfach einem Akteur "aufs Maul".
Gruseltext des Monats
"Ich habe meine Entscheidung auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen
Politik der großen Koalition in Berlin und mit dem politischen Kurs der nordrhein-westfälischen Landespartei getroffen, der mit meinen Grundüberzeugungen,
für die ich viele Jahre in der CDU gearbeitet habe, nicht vereinbar ist."
Entscheidungen sind bisweilen Ergebnis eines langen Prozesses. Hier
sieht man es dem Satz förmlich an. Dabei stammt er von einem Politiker,
dessen klare Sätze gerühmt wurden. Also, Herr Merz, wie wäre es damit:
"Meine Entscheidung steht auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen
Politik der großen Koalition in Berlin. Und sie steht im Zusammenhang mit dem
Kurs der nordrhein-westfälischen Landespartei. Dieser Kurs ist unvereinbar mit
meinen Grundüberzeugungen, für die ich viele Jahre in der CDU gearbeitet habe."
Volksnah formulieren - so funktioniert es:
Portionieren: Aus einem Schachtelsatz mit 43 Wörtern werden drei Einzelsätze.
Zwei davon sind einfache Hauptsätze. Im dritten kommt zuerst der komplette
Hauptsatz, dann folgt der Nebensatz. 15 bis 20 Wörter pro Satz sind genug.
Zeitenwechsel: Der Ausgangssatz steht im Perfekt. Das bedeutet ein geteiltes
Verb: "Ich habe meine Entscheidung ... getroffen ". Dazwischen stehen
23 Wörter. Unser Kurzzeitgedächtnis kann maximal sechs Wörter speichern.
Das heißt: maximal sechs Wörter zwischen "habe" und "getroffen". Die Lösung:
Statt des Entscheidungsprozesses beschreibe ich das Resultat - im Präsens.
Verben nach vorn: Das Verb transportiert eine Hauptinformation im Satz: Was
ist geschehen? Was macht der Akteur? Nur: Die klassische Grammatik verbannt
das Verb oft ans Satzende. Das macht vor allem lange Sätze schwer
verständlich. In vielen Fällen ist die Lösung einfach: nach vorn mit dem Verb!
Statt "Dieser Kurs ist mit meinen Grundüberzeugungen, für die ich viele Jahre
in der CDU gearbeitet habe, unvereinbar " einfach "Dieser Kurs ist unvereinbar mit
meinen Grundüberzeugungen, für die ich viele Jahre in der CDU gearbeitet habe."
Tipp des Monats
Lösen Sie sich von dem ungeschriebenen Gesetz, dass gebildete Menschen
nur komplexe Sätze formulieren dürfen. Der beste Satz ist der, den ich als Leser
auf Anhieb verstehe. Den ich nicht zwei Mal lesen muss. Mit Blick auf die
Beziehungsebene sind klare Sätze also auch ein Ausdruck von Höflichkeit.
Aber auch mit dem Business-Blick kann ich dem kurzen und klaren Stil viel
abgewinnen: Meine Sätze werben für mein Anliegen. Wenn sich Empfängerin
oder Empfänger beim Lesen quälen müssen, drohen Ärger - und Gefahr. Denn
vielleicht formuliert die Konkurrenz ja so, dass das Lesen eine Lust ist.
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