Heute macht der cleartext-Newsletter eine Reise an die Ostsee.
Standort-Werbung ist für Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaft
lebenswichtig. Ich sage: Wenn Sie mit einem Text überzeugen
wollen, muss dieser Text leben. Mehr dazu im Tipp des Monats.
Gruseltext des Monats
"Ein für Rostock und das Land Mecklenburg-Vorpommern einzigartiges
Bauvorhaben wird in nur wenigen Monaten abgeschlossen sein und damit für
die Biomedizin neue Standards in Sachen Technologiekompetenzzentrum
setzen. In unmittelbarer Nähe zur universitären Forschung bieten unter einem
architektonisch geschickt betonten Dach hochmodernste Arbeitsflächen quasi
auf dem Universitätsklinikum einmalige Chancen für einen intensiven
Austausch zwischen Grundlagenwissenschaftlern, klinisch tätigen Forschern
und jungen Unternehmern auf dem Weg zu neuen Therapiemöglichkeiten."
Diese Passage stammt aus einem Artikel über ein Biomedizinisches
Forschungszentrum in Rostock. Zwei lange Sätze, vollgestopf mit teils
abstrakten Informationen. Menschen kommen nur am Rand vor. Dabei
stehen sie in Wirklichkeit im Mittelpunkt. Rücken wir sie also ins Licht:
In Kürze können sie in Rostock Tür an Tür arbeiten: Wissenschaftler aus der Grundlagenforschung, forschende Ärzte und junge Unternehmen. Das neue Biomedizinische Forschungszentrum bietet ihnen modernste Arbeitsplätze direkt
bei der Universitätsklinik. Wissenschaftler, Ärzte und Firmen können hier neue Medikamente entwickeln und neue Therapien. Die Wege sind kurz, die Partner
können sich intensiv austauschen. Mit dem neuen Forschungszentrum in
Rostock setzt Mecklenburg-Vorpommern neue Maßstäbe in der Biomedizin.
Klar und verständlich formulieren - so funktioniert es:
Die Ursprungsversion mutet dem Leser eine Menge zu: Wort-Ungetüme wie "neue Standards in Sachen Technologiekompetenzzentrum" oder "Nähe zur universitären Forschung". Verpackt ist dies alles in zwei lange Sätze. Der zweite liegt mit 39 Wörtern weit jenseits der Grenze des Verständlichen.
Ich habe zunächst überlegt: Was bedeutet das konkret, was da steht? Wie mache ich das für Außenstehende verständlich? Und: Wo sind die Akteure, also die Menschen? Dann habe ich versucht, alles in lebensnahe Wörter und Bilder zu fassen. Was mir überflüssig erschien, habe ich gestrichen. Was übrig blieb, habe ich auf fünf Sätze verteilt. Am Ende ist der Text sogar kürzer.
Beim Texten habe ich mich an diesen Schreibregeln orientiert:
- zwei (oder mehrere) kurze Sätze sind besser als ein langer
- Futur lässt sich oft durch Präsens ersetzen
- konkret ist besser als abstrakt
- Wörter aus dem Leben bringen Leben in den Text
- Nennen Sie Ross und Reiter: Was tun die Menschen?
Tipp des Monats:
Das Rückgrat unserer Sätze sind Subjekt und Prädikat. Sie geben Antwort auf die beiden Hauptfragen? Wer ist der Akteur? Und: Was tut dieser Akteur?
Im Gruseltext des Monats ist das Subjekt kein Mensch oder eine Gruppe, und das Prädikat beschreibt keine Tätigkeit. Erster Satz: "Ein Bauvorhaben wird abgeschlossen sein", im zweiten Satz: "Hochmodernste Arbeitsflächen bieten gute Chancen". - Keine Antworten auf die Frage: Wer tut was?
Wenn Sie einen Text schreiben oder überarbeiten: Suchen Sie nach den Menschen in der Geschichte. Bauen Sie diese Menschen in Ihre Sätze ein, am besten als grammatikalisches Subjekt. Beschreiben Sie, was diese Menschen tun, planen oder sagen. Ihr Text erzählt dann eine Geschichte, und vor dem inneren Auge des Lesers entsteht ein Bild. Konkret, plastisch, verständlich.
cleartext zum Mitmachen
"Wir beziehen uns auf die offiziellen, bei den verschiedenen deutschen Untersuchungsämtern
veröffentlichten Schreiben, mit denen die in Deutschland ermittelte mangelnde Übereinstimmung folgende Losnummern des Produkts Ricotta Salata bekanntgegeben wird
(die Daten sind auf der Gewichtetikette angegeben,
die auf der Verpackungsrückseite ist): RICOTTA SALATA OVINA „SCIURITA“
Losnummer 23704900 MHD 18/08/2008, Losnummer 23729200 MHD 19/04/2008,
Losnummer 23729900 MHD 26/04/2008, Losnummer 23730200 MHD 29/04/2008,
Losnummer 23733360 MHD 29/05/2008, Losnummer 023735100 MHD 17/06/2008,
Losnummer 23736100 MHD 27/06/2008, Losnummer 23800700 MHD 07/07/2008,
Losnummer 023801000 MHD 10/07/2008, Losnummer 23803800 MHD 07/08/2008,
Losnummer 23804900 MHD 18/08/2008, Losnummer 23805700 MHD 26/08/2008,
Losnummer 23806000 MHD 29/08/2008 und RICOTTA SALATA OVINA „SARDIS“
Losnummer 23729700 MHD 24/04/2008, Losnummer 023732600 MHD 22/05/2008,
Losnummer 023732700 MHD 21/02/2008, Losnummer 023733260 MHD 28/05/2008,
Losnummer 023733400 MHD 30/05/2008, Losnummer 023734060 MHD 06/06/2008,
Losnummer 023734400 MHD 10/06/2008, Losnummer 023734700 MHD 13/06/2008,
Losnummer 023800800 MHD 08/07/2008, Losnummer 023801800 MHD 17/04/2008,
Losnummer 023801800 MHD 18/07/2008, Losnummer 023802200 MHD 22/07/2008,
Losnummer 23802800 MHD 28/07/2008, Losnummer 23803700 MHD 06/08/2008,
Losnummer 23805600 MHD 25/05/2008, Losnummer 23805600 MHD 25/08/2008,
Losnummer 23805900 MHD 28/08/2008.
Als Sicherheitsvorkehrung und Verbraucherschutz haben wir notwendige Maßnahmen
eingeleitet, die oben genannten Losnummern des Produkts Ricotta Salata aus dem Verkehr
zu nehmen. Wir möchten deshalb alle Kunden bitten, die das zu den oben genannten
Losnummern gehörende Produkt gekauft haben oder noch im Kühlschrank haben, dieses
Produkt nicht zu verzehren; außerdem, wenn es möglich ist, bitten wir
Sie darum, den Käse zu dem Händler zurückzubringen, wo er gekauft wurde."
Mit diesen Sätze begann Mitte April eine Rückruf-Anzeige eines Ricotta-Herstellers
in mehreren Tageszeitungen. Zuvor hatten die Verbraucherministerien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewarnt, in verschiedenen Ricotta-Produkten
seien gefährliche Listerium-Bakterien gefunden worden. Empfindliche oder
geschwächte Menschen könnten dadurch krank werden oder sogar sterben. In den
Läden wurden die verunreinigten Käseprodukte sofort aus den Regalen genommen.
Wenn Sie mögen: Bekennen Sie Farbe vor den Verbrauchern und schreiben Sie diese Rückruf-Anzeige neu. Meinen Vorschlag stelle ich Ihnen im Mai vor.
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Gruseltext des Monats
"Sehr geehrte Fahrgäste, in unserem Bordrestaurant und Bordbistro
müssen noch Vorbereitungs- und Reinigungsarbeiten durchgeführt
werden. Diese sind unbedingt erforderlich, um Ihnen Speisen und
Getränke in einem ordnungsgemäßen Zustand servieren zu können.
Dies wird noch etwa 30 Minuten in Anspruch nehmen."
Eine Durchsage neulich im ICE. Die Reaktion von Fahrgästen: Ich will mir lieber nicht vorstellen, was da los ist. - Haben die etwa Ratten in der Küche? - Da will ich nicht mehr hingehen.
In Wirklichkeit war alles ganz harmlos: Am Vorabend hatte es nicht mehr zum Spülen gereicht. Doch die Service-Durchsage ließ es viel schlimmer erscheinen. - Also vielleicht besser so:
"Sehr geehrte Fahrgäste, unser Bordrestaurant und das Bordbistro öffnen heute erst gegen zehn Uhr. Gestern Abend ist ein Mitarbeiter ausgefallen, wir müssen deshalb jetzt noch das restliche Geschirr spülen. Bitte entschuldigen Sie dies. Spätestens einer halben Stunde öffnen wir Restaurant und Bistro, ich gebe Ihnen dann Bescheid."
Pannen gekonnt kommunizieren - so funktioniert es
"Gestern Abend ist ein Mitarbeiter ausgefallen, wir müssen deshalb
jetzt noch das restliche Geschirr spülen" klingt menschlich. Es bringt
die Panne auf den Punkt. Und lässt keinen Platz für Spekulationen.
Das Original alarmiert: "Diese (Vorbereitungs- und Reinigungsarbeiten) sind unbedingt erforderlich, um Ihnen Speisen und Getränke in einem ordnungsgemäßen Zustand servieren zu können" - diese Formulierung lässt die Fahrgäste vermuten: Da stimmt etwas mit dem Essen nicht.
Tipp des Monats
Wir alle kennen Pannen und Missgeschicke. Und wir empfinden vielleicht sogar Sympathie mit dem, der eine Panne offen einräumt. Sauer werden wir eher dann, wenn sich der Verursacher hinter einem geschraubten Wortschwall verbirgt. Oder wenn er versucht, die Panne zu vertuschen.
Nennen Sie also bei Pannen Ross und Reiter. Sagen Sie, was Sache ist. Konkret und anschaulich. Begründen Sie. Bringen Sie Menschen ins Spiel.
Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung. Das macht Sie glaubwürdig. Setzen Sie auf das Verständnis Ihres Gegenübers. Die meisten Menschen haben Verständnis. Und seien Sie klar und ehrlich. Ehrlichkeit entwaffnet.
Denken Sie an das ICE-Beispiel. Dem Zugchef fällt kein Stein aus der Krone, wenn er sagt: Wir müssen schnell noch abspülen. Und mancher schmunzelt vielleicht insgeheim und denkt: Denen geht es wie mir.
Die Wunschbox
Sitzen Sie am einem Text oder Brief? Und sagen: Er ist noch nicht so, wie ich will. Wie formuliere ich es anders? Wie erkläre ich diesen Sachverhalt?
Schicken Sie mir den Text. Schreiben Sie dazu: In welchem Zusammenhang steht er, an wen richtet er sich, was würden Sie gerne anders ausdrücken?
Schreiben Sie an newsletter@cleartext.de, Stichwort "Wunschbox" oder an cleartext, Oranienburger Straße 33, 10117 Berlin. Je kürzer, desto besser.
Sie bekommen von mir einen Lösungsvorschlag. Und wenn Sie einverstanden sind, stelle ich Ihren Text hier vor - anonymisiert und ohne Namensnennung. Als Beispiel dafür, was cleartext leistet. Dieser Service kostet Sie nichts.
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