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Schönfärberei

 

Kundenmagazine sind eine feine Sache: freie Bahn für die Position des eigenen Hauses. Doch gerade hier lauern Fallen. Dieser cleartext-Newsletter stellt Ihnen ein besonders drastisches Beispiel vor.


Hofberichterstattung des Monats

Vom Bahnprojekt Stuttgart-Ulm profitieren alle: Stuttgart 21
verschafft der Wirtschaftsmetropole Raum für einen neuen
City-Stadtteil, beschleunigt den Regionalverkehr und bringt
dem Flughafen eine ICE-Station. Auf der Neubaustrecke nach
Ulm gewinnen Millionen Reisende fast eine halbe Stunde Zeit.
 
Mit diesen Sätzen beginnt es, das „Plädoyer für ein
Jahrhundertprojekt“ in der DB-Kundenzeitschrift mobil.
In drei Schritten entwirft die Bahn ein Bild der „Vision“
Stuttgart 21. Erster Schritt: Die Gegenwart ist schlecht.  

Alle Fern- und Regionalzüge rollen aus nordöstlicher Richtung
in den Talkessel hinein und müssen durch dieses Nadelöhr
auch wieder heraus. Das macht den Bahnverkehr kompliziert
und auch langsam. Zudem beanspruchen der Kopfbahnhof,
das weitläufige Gleisfeld und ein Abstellbahnhof riesige Flächen
… und trennen benachbarte Stadtteile auf brachiale Weise.

Brachial. Die unterschwellige Botschaft lautet: Ein böser
Bahnhof tut der Stadt Gewalt an. Diese Einstimmung
schafft die Basis für den zweiten Schritt: Alles wird gut.

Durch große Lichtaugen wird Tageslicht in den unterirdischen
Bahnhof fluten und eine helle, angenehme Atmosphäre erzeugen.

Aber war da nicht noch etwas anderes? Demonstrationen,
Wasserwerfer, der Ruf nach einem Volksentscheid? –
Kein Problem. Schritt Nummer drei: Auch das wird gut.

Ministerpräsident Stefan Mappus möchte die Bevölkerung in
die städtebauliche Ausgestaltung des Jahrhundertprojekts
einbeziehen und schlägt Gegnern und Befürwortern einen
intensiven Dialog vor. Dabei könnte es unter anderem um
die Gestaltung des Schlossgartens … oder die Barriere-
freiheit an Bahnsteigen und Gebäuden gehen. 

 


Süße Falle Einseitigkeit

Stuttgart 21 ist heute das umstrittenste Infrastrukturprojekt
Deutschlands. Biedere Bürger laufen Sturm, die Landtagswahl
im März wird das innenpolitische Highlight des Jahres 2011. Und
Stuttgart 21 hat ein politisches Novum hervorgebracht: eine
Schlichtung zu einem Projekt, das bereits beschlossen ist.

Im Bahn-Magazin ist davon nicht einmal ein Hauch zu spüren.
Bunte Computerbilder zeichnen eine herrliche Zukunft, und im Text
kommen ausschließlich Projekt-Befürworter zu Wort: Bahnchef
Grube, Bundesverkehrsminister Ramsauer, der Architekt und der
Ministerpräsident – auch in einem Interview mit Gefälligkeitsfragen.

Diese Einseitigkeit zeigt sich auch in der Wortwahl. Heute „wuchert“
Stuttgart immer weiter ins Umland, künftig kann es „in seiner Mitte
wachsen“. Es winkt „die Rückkehr der Menschen in die Innenstädte“.
Möglich macht dies „die schnelle Röhre“. Und auch während der
neun Jahre Bauzeit soll Stuttgart „eine lebenswerte Stadt bleiben“.

Ministerpräsident Mappus wird als „Landesvater“ tituliert. Der Mann
ist 44, und bei Erscheinen des Artikels war er neun Monate im Amt.

Mit professionellem Journalismus hat dies nichts zu tun. Den Projekt-
befürwortern in ihrer Augen-zu-und-durch-Sichtweise dürfte der Text
gefallen haben. Aber ich behaupte: Viele Leser fühlten sich auf den
Arm genommen. Nicht in erster Linie die entschiedenen Projekt-
Gegner, sondern jene, die noch dabei sind, ihre Position zu finden.  

 

   


Tipp des Monats: Zeigen Sie Souveränität

Ja, greifen Sie kontroverse Themen auf. Aber tun Sie es klug.
Das heißt vor allem: Benennen Sie den Konflikt. Lassen Sie auch
die andere Seite zu Wort kommen. Damit folgen Sie einem ehernen
journalistischen Gesetz, und Sie zeigen zugleich Souveränität.

Die Leser werden Sie dafür achten. Und sie werden sich ernsthafter
mit Ihrer Position auseinandersetzen, weil sie den Eindruck haben:
Hier werden mir beide Seiten vorgestellt, ich kann mir selbst eine
Meinung bilden. Wer nur eine Seite gezeigt bekommt, ist vergrätzt.

Als Redakteurin oder Redakteur eines Firmenmagazins rennen Sie
mit einem journalistisch sauberen Artikel hausintern nicht unbedingt
offene Türen ein. In der Chefetage läse man vielleicht lieber eine
Version à la Bahn. Aber bei Artikeln gilt, was bei Pressemitteilungen
gilt: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.   


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