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Fehler einräumen

 

Sprache ist verräterisch. Mancher Satz legt schonungslos offen, was der Verfasser am liebsten verschwiege. Die Missbrauchsdebatte ist da ein gutes Beispiel. In diesem Newsletter erfahren Sie, was zwischen den Zeilen steht.


Nebelwerfer des Monats

"Schüler, die ich in den Jahren, in denen ich Mitarbeiter und Leiter der Odenwaldschule war (1969-1985), durch Annäherungsversuche oder Handlungen sexuell bedrängt oder verletzt habe, sollen wissen: Das bedauere ich zutiefst und bitte sie dafür um Entschuldigung."

In den Tiefen dieses Schachtelsatzes versteckt der Reformpädagoge Gerold Becker sein Geständnis: Ich habe Schüler sexuell missbraucht. Zugleich will er Herr der Lage bleiben: Die Schüler "sollen wissen".

Und weiter: "Diese Bitte um Entschuldigung bezieht sich ausdrücklich auch auf alle Wirkungen, die den Betroffenen erst später bewusst geworden sind. ... Die von mir vor 12 Jahren geäußerte Bereitschaft zu einem Gespräch mit betroffenen Schülern wiederhole ich noch einmal."

In dem "Bitte"-Satz kommt der Verfasser plötzlich gar nicht mehr vor. Die Bitte führt eine Art Eigenleben. Und der zweite Satz klingt wie
"Das habe ich doch längst gesagt, aber ich biete es nochmals an."

Dazu die Wortwahl. Seine Übergriffe versteckt der Autor hinter einem neutral klingenden "Handlungen". - Der Hessische Rundfunk meldete daraufhin: Ehemalige Schüler signalisierten ..., dass sie sich mit dieser
Erklärung nicht zufriedengeben könnten... Auch seitens der Schulleitung werde es als unzulänglich betrachtet, dass Becker seine verjährten Straftaten als "Annäherungsversuche oder Handlungen" bezeichne.

In Krisen glaubwürdig sein - so kann es funktionieren:

Niemand von uns wünscht sich, in eine solche Lage zu geraten. Falls aber doch: Eiern Sie nicht herum. Entscheiden Sie sich: Will ich mich zu diesem Fehler bekennen oder nicht? Falls Sie es nicht wollen:
Schweigen Sie. Das ist besser als alle gewundenen Statements.

Falls Sie einen Fehler einräumen wollen: Verstecken Sie sich nicht. Formulieren Sie es im Aktiv, mit "ich" oder "wir". Schreiben Sie klar, was Sie getan haben, was Sie tun werden. Machen Sie kurze Sätze.
Geben Sie jedem Aspekt einen eigenen Satz. - Also vielleicht so:

"In meiner Zeit als Mitarbeiter und Leiter der Odenwaldschule habe ich Schüler sexuell bedrängt und missbraucht. Mit diesem Brief wende ich mich an die Betroffenen und möchte ihnen sagen: Ich bedauere zutiefst, was ich getan habe. Ich bitte Sie um Entschuldigung. Und ich bin bereit, mich dem persönlichen Gespräch mit Ihnen zu stellen."

 


Tipp des Monats: Misstrauen Sie dem Passiv

Der Papst macht es vor, im Guten wie im Schlechten. Im Hirtenbrief
an die Iren schreibt er "an die Opfer des Missbrauchs" - glasklar: 
"Ihr habt viel gelitten, und ich bedaure das aufrichtig. Ich weiß, dass
nichts das Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde
verraten, und Eure Würde wurde verletzt." - Das ist schnörkellos.

Auch in der Passage "An die Priester und Ordensleute, die Kinder
missbraucht haben" geht der Papst klar und persönlich zur Sache:

"Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und
ihren Familien in Euch gesetzt wurde, verraten und Ihr müsst Euch
vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür
verantworten. Ihr habt die Achtung der Menschen Irlands verspielt
und Schande und Unehre auf Eure Mitbrüder gebracht."

Ihr habt verraten, Ihr müsst Euch verantworten. Eindeutige Begriffe,
unmissverständliche Aktivsätze. - Doch dann wird es seltsam wolkig.
Im Kapitel "An meine Mitbrüder im Bischofsamt" schreibt der Papst:

"Es kann nicht geleugnet werden, dass einige von Euch und von Euren
Vorgängern bei der Anwendung der seit langem bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts zu sexuellem Missbrauch von Kindern versagt haben. Schwere Fehler sind bei der Behandlung von Vorwürfen gemacht worden."

Vernebelndes Passiv. Wer kann nicht leugnen? Wer hat Fehler gemacht? Die Sprache zeigt: Seine Ex-Kollegen geht der Papst weniger hart an. 

Aktivsätze verbergen nicht, sie benennen den Akteur: Ich habe einen
Fehler gemacht. Passivsätze vernebeln: Es wurden Fehler gemacht. Für Diplomaten kann die weiche Form ein Segen sein. Manche Politiker aber verstecken sich hinter ihr, wenn es heikel wird: "Die Sparanstrengungen müssen verstärkt werden" statt "Wir alle müssen mehr sparen. Wir als Regierung und Sie als Bürger." Aktivsätze bringen Klarheit. Und Respekt.


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