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Textaufbau

 

Lesen funktioniert heute anders als früher. Schneller, flüchtiger, im Tiefflug. Langatmiges und Sperriges hat schlechte Karten. In diesem Newsletter erfahren Sie, wie Sie sich mit Ihren Texten da behaupten können.


Abstiegskandidat des Monats

Am Donnerstag ist im Kölner Dom die Heizung ausgefallen.
Nach Angaben der Erzdiözese konnte die Anlage zunächst nicht
repariert werden. In einer Pressemitteilung bat der Dompfarrer
deshalb die Gottesdienstbesucher, sich warm anzuziehen. Am
nächsten Tag war Heiligabend. Viele Menschen kamen daraufhin
in Skikleidung und mit bunten Wollmützen zur Christmesse.


So schrieben wir als Kinder: Zuerst kam das, dann das, und
dann das. Doch der chronologische Aufbau ist riskant. In Köln
wird es erst im vorletzten Satz interessant. Das ist zu spät.

Untersuchungen haben gezeigt: Die meisten Leser entscheiden
schon nach dem ersten Satz eines Textes, ob sie weiterlesen
oder nicht. Der Einstieg ist also die Werbeabteilung des Textes.

Die Leser anlocken: So kann es gehen

Stellen Sie das Wichtigste nach vorn. Oder das Überraschende,
das Kuriose. Das, was den Leser neugierig macht auf mehr.

In der Köln-Geschichte stecken zwei Dinge, die Sie als Köder
benutzen können: den Zeitpunkt. Oder die Folge der Havarie.

In Skianzügen und mit bunten Wollmützen haben an
Heiligabend viele Menschen die Christmesse im Kölner Dom
besucht. Am Vortag war dort die Heizung ausgefallen …

oder:

Wie beim Wintersport ging es an Heiligabend im Kölner Dom
zu. Viele Menschen kamen in Skianzügen und mit bunten
Wollmützen zur Christmesse. Am Vortag war dort …

oder, mit Blick auf den Zeitpunkt:

Am Tag vor Heiligabend ist im Kölner Dom die Heizung
ausgefallen. Sie konnte zunächst nicht repariert werden. …

Also, überlegen Sie vor dem Schreiben: Was ist das Besondere
an meiner Geschichte? Was macht Sie lesenswert? – Diesen
Aspekt stellen Sie nach vorn. Wenn es sein muss: Lösen Sie
sich vom chronologischen Ablauf. Schulaufsatz war gestern.

Auch Fachtexte müssen um ihre Leser werben

Der klassische Textaufbau geht so: Thema und Ausgangslage;
dann die eigenen Überlegungen oder Untersuchungen, die
Zusammenhänge, Hintergründe, möglichen Lösungen. Und
dann die eigene Schlussfolgerung, die These, der Vorschlag.

Der Vorteil dieses induktiv-hinführenden Textaufbaus: Der
Leser kann die Gedanken und das Vorgehen der Autorin oder
des Autors nachvollziehen. Wenn er sich die Zeit dafür nimmt.

Der Nachteil des klassischen Textaufbaus: Der Leser muss
sich durch eine Menge Text arbeiten, ehe er zum Fazit kommt.
Möglicherweise muss er aber nur einen Teil davon wissen.
Und wenn ihm der Weg zu lang ist, springt er vielleicht ab.

Service für eilige Leser: der deduktive Aufbau

Die Lösung: Bauen Sie Ihre Texte umgekehrt auf. Beginnen
Sie mit Ihrer Kernaussage, Ihrem Fazit. Legen Sie den ersten
Absatz als Kurzzusammenfassung an. Dann steigen Sie
in die Details ein, Ihre Untersuchungen, die Hintergründe.

Viele Fachtexte folgen bereits dem deduktiven Aufbau. Auch
Fachzeitschriften setzen ihn ein. Das vorangestellte Abstract
oder Executive Summary lässt sich auch optisch hervorheben.

Der Vorteil: Ihre Leser können sich schnell orientieren - und
entscheiden, wie viel sie zusätzlich wissen wollen. Auch eilige
Leser erfahren, was Sie zu sagen haben. Und wer nach dem
ersten Absatz abspringt, nimmt Ihre Botschaft trotzdem mit.


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Mehr zu diesem Thema

Literaturwurst des Monats

Die Kunst war sein Leben, und er wurde zum Gegenstand
ihrer Kunst. Als der 37-jährige Dieter Roth und die drei
Jahre jüngere Dorothy Iannone sich 1967 kennen und auf
den ersten Blick lieben lernten, genoss der in Hannover
geborene und in Reykjavik lebende Sohn einer deutsch-

schweizerischen Familie als Produzent von „Literaturwürsten“
und einzigartigen Kunstbüchern eine gewisse Popularität,
während die kleine zierliche und schwarzhaarige Amerikanerin
und Literaturwissenschaftlerin, die bunte Umrissfiguren aus
Holz bastelte und sie mit exponierten Geschlechtsteilen
versah, künstlerisch noch ein unbeschriebenes Blatt war.


Der erste Satz klingt gut. Ein knappes, elegant formuliertes
Fazit. Dieses Amuse-Gueule macht Appetit. Doch es folgt
eine schier endlose Wurst, vollgestopft mit Kraut und Rüben.
Alter, Jahreszahl, Ort, Herkunft, künstlerisches Schaffen,
Reputation. 73 Wörter. In dieser Form ist das unverdaulich.

Portionieren Sie

Schneiden Sie die Wurst in Scheiben, und legen Sie den
Lesern eine nach der anderen vor. - Also vielleicht so:

Die Kunst war sein Leben, und er wurde zum Gegenstand
ihrer Kunst. Mit Mitte 30 lernten sie sich kennen ­- es war
Liebe auf den ersten Blick. Der Deutsch-Schweizer Dieter
Roth lebte 1967 in Reykjavik und genoss als Künstler eine
gewisse Popularität, die Amerikanerin Dorothy Iannone
war künstlerisch noch ein unbeschriebenes Blatt. Roth

war Produzent von „Literaturwürsten“ und einzigartigen
Kunstbüchern, Iannone bastelte bunte Umrissfiguren aus
Holz und versah sie mit exponierten Geschlechtsteilen.

Sortieren Sie

Sortieren Sie Ihre Informationen: Was ist wichtig, was ist
weniger wichtig? Was kann wegfallen? Dann nehmen Sie
Ihre Leser an die Hand und führen Sie sie durch das Thema.

Der erste Satz ist gut, er bleibt unverändert. Der zweite gibt
die Grundmelodie vor: Zwei Menschen Mitte 30 lernen sich
kennen und lieben sich vom ersten Augenblick an. Punkt.
Diese Information bekommt einen eigenen Satz.

Unwichtig ist an dieser Stelle, dass Roth aus Hannover stammt
und dass Iannone „klein, zierlich und schwarzhaarig“ ist.

Der dritte Satz bilanziert, wo die beiden zu diesem Zeitpunkt
künstlerisch stehen, der vierte beschreibt, was sie als Künstler
machen. Aus dem ursprünglichen Mammutsatz mit 73 Wörtern
werden damit vier Sätze mit insgesamt nur noch 61 Wörtern.

Das Grundrezept

Verständliche Texte und lesefreundliche Sätze folgen Regeln.
Meine Textversion orientiert sich an diesen fünf:

1.  Erst die Orientierung, dann die Details.
2.  Ein Gedanke – ein Satz.
3.  Was für die Geschichte nicht relevant ist, fällt weg.

4.  Kurze Sätze sind verständlicher als lange.
5.  Schachtelsatz-Konstruktionen sind tabu.


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